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Titel
Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen


Herausgeber
Müller, Harald; Hotz, Brigitte
Erschienen
Köln 2012: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
464 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Alois Steiner

Die vom 8. bis 10. September 2011 in Aachen veranstaltete Tagung «Gegenpäpste – Prüfstein universaler Autorität im Mittelalter»widmete sich dem Behauptungskampf konkurrierender Papst-Prädententen.

Bereits der Begriff «Gegenpapst» ist unklar. Die Mittelalterforschung ist sich nicht einmal über die Zahl der Gegenpäpste einig. Je nach Lexikon schwankt die Zahl zwischen 52 (Amato Pietro Frutaz) und 38 gemäss Enciclopedia dei Papi (2000). Das Annuario Pontificio (2010) zählt erstmalig die avignonesischen Schisma-Päpste nicht mehr als Gegenpäpste. Dazu gibt es schwierig einzuordnende Einzelfälle wie etwa Hippolyt (217–235), erster Gegenpapst und Märtyrer. Er wird deshalb in der West- und Ostkirche als Heiliger verehrt.

Die Spitze der Kirche erträgt keine Verdoppelung. Die verschiedenen Kirchenspaltungen (Schismata) hatten einschneidende Konsequenzen. Das Papstwahl-Dekret von 1059 unter Nikolaus II. reservierte die Papstwahl den Kardinälen. Die Papstwahl-Regelung auf dem III. Laterankonzil von 1179 verlangte die Zweidrittelsmehrheit für eine gültige Wahl. Auf diese Weise konnte der verheerende Einfluss der römischen Adelsfamilien auf die Papstwahlen des 8. und 9. Jahrhunderts in Zukunft mindestens teilweise ausgeschaltet werden.

Durch das entschlossene Eingreifen Kaiser Heinrichs III. auf der Synode von Sutri 1046 konnte wieder Ordnung in Rom hergestellt werden. Daraus entstand das Reformpapsttum, das bereits unter Heinrich IV. zu einer Auseinandersetzung mit Gregor VII. führte und die Erhebung des Erzbischofs Wibert von Ravenna als Clemens III. zur Folge hatte (Investiturstreit).

Ein unschönes Problem tauchte im Machtkampf der Päpste mit den Gegenpäpsten immer wieder auf, die damnatio memoriae. Dieser unselige Brauch stammt aus der heidnischen Antike und hatte das Ziel, das Andenken an missliebige Personen aus dem Gedächtnis der Bevölkerung, aus den Denkmälern oder aus den Archiven zu verbannen. Ein solcher Fall in der Kirchengeschichte ist die Auseinandersetzung zwischen Papst Paschalis II. und seinem 1100 verstorbenen Rivalen Clemens III. (Wibert von Ravenna). Als von dessen Anhängern das Gerücht verbreitet wurde, dass an seinem Grab in der Civita Castellana Wunder geschähen, liess Paschalis II. die Stadt erobern, die Leiche exhumieren und in den Tiber werfen. Diese radikale Massnahme wurde vor allem dann angewandt, wenn sich an einem solchen Grab eine lokale Heiligenverehrung des einstigen Konkurrenten etablieren könnte.

Die Doppelwahl von 1130, aus der einerseits Innozenz II. (Gregorio Papareschi), andererseits Anaclet II. (Petrus Pierleoni) hervorgingen, sah wieder den unheiligen Einfluss der römischen Adelsfamilien. Obwohl von den Wahlvorgängen das bessere Recht eher für Anaclet II. sprach, wurde er schliesslich als Gegenpapst gebrandmarkt und von der siegreichen Partei Innozenz’ II. schwer verleumdet. Schliesslich entschied die Autorität Bernhards von Clairvaux den Streit zugunsten Innozenz II. Die Obödienz Anaclets erstreckte sich über die urbs, während Innozenz II. den orbis dominierte. Nach dem Tode Anaclets II. wandet sich auch die Stadt Rom Papst Innozenz II. zu.

Einer der folgenden Päpste, Alexander III., der grosse Gegner von Kaiser Friedrich Barbarossa, war von der Rechtmässigkeit der Wahl überzeugt. Sein kurialer Apparat begann sofort wirksam zu funktionieren, und die päpstliche Gerichtsbarkeit wurde ausgebaut. Durch Legationen in die verschiedensten Länder verstand es Alexander, erfolgreich für sich zu werben. Barbarossa unterstützte den Gegenpapst Viktor IV., der jedoch früh verstarb. Die folgenden Gegenpäpste konnten sich nicht durchsetzen, da der Kaiser sich nicht voll hinter sie stellte. Erst nach der Niederlage bei Legnano gegen die Mailänder anerkannte Barbarossa Papst Alexander III.

Die Doppelwahl Urbans VI. und Clemens VII. vom Jahre 1378 ist gut dokumentiert. Die Wahl Urbans VI. im April erfolgte offenbar in kanonisch richtiger Form. Da er sich aber in den folgenden Monaten durch sein ungeschicktes Verhalten unmöglich machte (Geisteskrankheit?), erfolgte im September des gleichen Jahres die Wahl seines Widersachers Clemens VII. Der römische Pöbel spielte bei der Wahl Urbans VI. eine zweifelhafte Rolle, so dass bis heute nicht einwandfrei festgestellt werden kann, welche der bisherigen Papstreihen die besseren Argumente für eine rechtmässige Wahl vorweisen kann. Ein schwieriges Problem waren die Heiligsprechungen in Zeiten des Schismas. Sie konnten unter Umständen Mittel sein, um ganze Länder an die jeweilige Obödienz zu binden. Innozenz II. sprach Godehard von Hildesheim (St. Gotthard) und Gerhard von Brogne heilig und verband diese Aktionen mit den Synoden von Lüttich und Reims, als er schismabedingt im Reich erschien. Im Schisma von 1159 sind von Alexander III. zwei Heiligsprechungen von Herrschern vorgenommen worden, nämlich Eduards des Bekenners (1161) und Knud Lars (1169), die England an die Obödienz banden. Auf der Gegenseite sprach Paschalis III. Kaiser Karl den Grossen 1165 heilig, und zwar auf Betreiben Friedrich Barbarossas. Der römische Papst Bonifaz IX. vollzog in einer Schismaphase die Heiligsprechung Birgittas von Schweden.

Von einem aussergewöhnlichen Fall ist noch zu berichten, nämlich vom freiwilligen Rücktritt des Gegenpapstes Felix V., der am 7. April 1449 seinen Amtsverzicht aussprach. Als Kompensation wurde er – Amadeus von Savoyen – vom römischen Pontifex Nikolaus V. zum Kardinal und legatus a latere für seinen vormaligen Obödienzbereich erhoben, der sich weitgehend mit dem Herzogtum Savoyen deckte, dem Amadeus 1383 bis 1439 als Herzog vorgestanden hatte. Mit diesem ehrenvollen Rückzug verschwand auch der Konziliarismus aus der Kirchengeschichte.

Die sechzehn Arbeiten namhafter Historiker aus dem deutschen, französischen, spanischen und englischen Sprachgebiet dokumentieren das grosse Interesse an diesem eher peripheren Gebiet. Mehrere Arbeiten der Aachener Tagung fanden keinen Platz mehr im vorliegenden Band. Es wäre wünschenswert, wenn die restlichen Aufsätze in einem Folgeband erscheinen könnten. Aussagekräftig ist das Umschlagbild De magno schismate von Antonio Baldana aus dem Jahre 1420 (ca.) aus der Bibliotheca Palatina in Parma. Es illustriert die tragische Situation der Kirchenspaltung von 1378.

Zitierweise:
Alois Steiner: Rezension zu: Harald Müller/Brigitte Hotz (Hg.), Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen, Wien, Böhlau, 2012. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 107, 2013, S. 416-418.